Manfred Klein - das Interview
 
1) Ausbildung und Beruf
2) Günter Gerhard Lange
3) Kleins Fonteria
4) Familie und Philosophie
 
Manfred @ typOasis
GGL - Das Maschinengewehr Gutenbergs
 
Dieser Artikel (ohne PS) erschien in einer Jahresgabe der Münchner Typografischen Gesellschaft zum 60. Geburtstag des Meisters, 1981.
 
Von Manfred Klein, Frankfurt.
 
Berlin 1951: Die Blockade haben wir gerade so überlebt. Die Trümmer sind noch längst nicht alle weggeräumt. Die Arbeitslosigkeit in Westberlin ist hoch, die Welt mit Brettern vernagelt und fängt erst hinter Helmstedt an. Ich bin ein Kind vom Wedding, habe bei der Imprimerie National Schriftsetzer gelernt. Weil das Setzen fremder Texte und Untexte auf die Dauer eine todlangweilige Angelegenheit ist, interessiere ich mich für die Typographie.
Aber was läuft denn 1951 in der Typoszene? Karl Franke mit seinen Jüngern versucht, die Reste der :tausendjährigen9 Buchkultur auf typographisch Verwertbares zurückzuführen. So entsteht die Neutypographie, zu besichtigen vor allem in der damals führenden Typographenzeitschrift :Form und Technik9. Mit vielen winzigen Versalzeilen, feinen schrägen Linien, die von oben nach unten übers Papier laufen, mit ein paar schwarzen oder farbigen cicerogroßen Quadratflächen zur Abrundung. Alles ein bißchen dünn und ätherisch aber immerhin. Zum ersten Mal zeigt sich wieder so etwas wie ein Stil in der deutschen Typographie.
 
So ungefähr hatten wir bis dahin auch Typographie in der Berufsschule und später in Abendkursen in Ullsteins Druckhaus Tempelhof kennen gelernt und geübt.
Beim Setzen mußte man stets darauf gefaßt sein, dass einem die gesperrten Versalzeilen aus dem Winkelhaken sprangen.
 
Ullsteins Druckhaus
Denn Berthold konnte immer noch keine Messingspatien liefern, und das viele Papier zwischen den Buchstaben hatte Sprengkraft: Die gesetzte Zeile flog oft irgendwann durch die Gegend.
So war typographische Gestaltung zu dieser Zeit selten. Architektur auf der Fläche, sie war nicht mal die Stuckleiste an der Decke. Man tastete sich an irgendeine neue Auffassung heran. Die Zeit war reif.
 
Da hörte auf einmal einer etwas von einem gewissen Lange, der vom Professor Tiemann aus Leipzig kam. Er hatte sich dort wohl durch kyrillische Schildermalerei für die Besatzungsmacht so verdient gemacht, dass er es vorzog, zu Berthold an den Mehringdamm zu kommen, am Fuß des Kreuzbergs, wo heute Türken leben und die Nächte lang sein sollen. Er hatte dort, als Zelle der Berliner Typographischen Gesellschaft, eine typographische Arbeitsgemeinschaft gegründet. Wir also hin, mal sehen, ob es sich lohnt. Dieser Lange, noch keine 30, war ein Ereignis!
 
Die kleinkarierte typographische Vorbildung, die wir alle so mitgebracht hatten, löschte er an zwei, drei Abenden aus. Er zeigte uns Typographie, von der wir bis dahin nie gehört hatten. Erzählte vom Jan (Tschichold), der einmal Iwan hieß, von Imre Reiner, dem Maler-Kalligraphen, und von den Schweizern. Er ermutigte uns, mit Schere und farbigen Papieren auf der Fläche zu experimentieren, Schriftsatz einzubeziehen, Ungelerntes zu versuchen und die alten Regeln zu vergessen.


Er war der erste in Berlin, der die tausendjährige Pause der Typographie überwand und den Typographen den Anschluß an die Bauhauszeit zeigte. Seine Satzbeispiele in der Berthold-Werbung zeigten Stil, aber noch mehr: Saft und Kraft! Das Dünnpissrige der Nachkriegstypographie war weg.
 
Günter Gerhard Lange war auch der erste, der frischen Wind in einen Rauschebartverein brachte, der damals die Berliner Typographische Gesellschaft bildete. Lange vor Peter Handkes :Publikumsbeschimpfung9 übte er bei seinen Gestaltungsvorträgen Provokation, erzwang Widerspruch, forderte heraus, verwehrte den Teilnehmern, beim Lichtbildervortrag einzunicken. Lange machte damals Typographie zu einem Ereignis, wie 50 Jahre später eine rare gute Folge Tatort im Fernsehen.
 
Gott sei Dank hat er sich inzwischen nicht verändert. Er ist immer noch in Deutschland der wichtige Mahner für gute Typographie. Nebenbei gesagt, wir waren arm. Ärmer, als unsere Kinder uns das heute glauben wollen. Ein Gehilfe setzte in der Spitze für 1,50 DM brutto in der Stunde. Trotzdem, für das Ereignis Lange hätten wir gern Lehrgeld bezahlt. Lange aber lehrte, ohne einen Pfennig zu verlangen.
 

1980, 29 Jahre später, gab Berthold in Frankfurt einen Vortragsabend. Dabei: Günter Gerhard Lange. In Form wie 1951: Ein Vortrag aus lauter Schlagzeilen.
Er zeigte dem Publikum, hauptsächlich Fotosetzern, den langen Marsch der Typographen durch die Jahrhunderte. Von den Schreibmeistern über den ersten wirklichen Typographen (Gutenberg) bis zur internationalen Typoszene unserer Tage. Er demonstrierte, wie sehr die Fotosatz-Revolution gerade hier in Deutschland das Gefühl für guten Satz und richtige Anordnung hat unter die Räder kommen lassen. Weil jeder Setzer erst einmal lernen muss, die neuen Maschinen zu beherrschen. Er zeigte, dass es an der Nachwuchspflege fehlt. Wie man sie beheben kann, indem man nicht einfach auf die Akademien vertraut.
 
Die Studios und die Fotosatzgeräte-Hersteller müssen den Nachwuchs schulen. Und zwar das Fingerspitzen-gefühl, und nicht nur die Bedienung. So wie das alles ein gewisser Günter Gerhard Lange schon 29 Jahre vorher in Berlin getan hat. Der Vortrag endete in der bei GGL gewohnten Publikumsprovokation, freundlich im Ton, hart in der Sache.
Fotosatz
 
 
Billy Graham wird das Maschinengewehr Gottes genannt. Wenn er predigt, schläft niemand ein. Günter Gerhard Lange ist Gutenbergs MG. In unserer typographischen Misere würde es genügen, wenn jeder junge Fotosetzer ein paarmal zu Langes Vorträgen käme. Wenn uns Typographie wirklich am Herzen liegt, sollten wir ihn für solche Vorträge gewinnen. Er kann uns helfen, typographisch mit Amerikanern, Franzosen und Engländern gleichzuziehen. 1951 fing er an, uns wachzurütteln. Heute, 30 Jahre später, wirkt er kein bißchen älter. Auch der Nachwuchs wird bei ihm nicht einschlafen, sondern hellwach zuhören.
 
PS: Heute, 1997, gibt es immer noch GGL, und immer noch wird er auch von den ganz Jungen und den Avantgardisten mit großem Respekt angehört. Er ist ein Klassiker, und er hat allen immer noch etwas zu sagen. Nebenbei hat er eine Menge sehr guter Schriften gemacht oder zu verantworten. Danke für alles, GGL.

 

von Harold Lohner
»Solemnity is based on GGL's Solemnis which has never been digitized.«
 
Günter Gerhard Lange, geboren 1921, ist seit 1950 freier Type-Designer in Deutschland und war von 1961-1990 künstlerischer Leiter der Berthold AG in Berlin. Seit 2000 arbeitet er wieder dort. Von GGL sind folgende Schriften:
AG Buch, Arena, Bodoni Old Face, Boulevard, Caslon Buch, Champion, Concorde, Derby, El Greco, Franklin Antiqua, Imago, Regina, Solemnis.
   
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